Warum Entscheidungen treffen manchmal richtig schwierig ist

ettina Kapfer

Du kennst das wahrscheinlich von dir selbst.

Eine Entscheidung steht an, und die muss gar nicht so groß sein. Und trotzdem fällt es manchmal unglaublich schwer, diese Entscheidung zu treffen.

Man überlegt sich die Sache von allen Seiten, berücksichtigt was alles schief gehen könnte, und was der beste mögliche Ausgang wäre. Hände hoch, wer noch nie bei einer Entscheidung Schwierigkeiten hatte.

Gleich vorweg: Das ist völlig normal, und so geht es jeder und jedem irgendwann mal!

Manche haben mehr, manche weniger Probleme damit, Entscheidungen zu treffen und dann durchzuziehen, und manche Menschen sind in manchen Bereichen super darin, und schaffen es in anderen trotzdem nicht.

Wir sitzen hier alle im selben Boot, weil unser Gehirn in diesem Punkt für alle gleich funktioniert. Der erste Schritt dazu, besser im Entscheiden und Vorhaben durchziehen zu werden, ist, diese biologischen Mechanismen zu kennen und für sich zu nutzen.

Im Folgenden stelle ich daher eine aktuelle Theorie der Neurowissenschaften vor, die versucht zu erklären, auf welche Art und Weise Menschen Entscheidungen treffen.  

Die Qual der Wahl

Steht eine wichtige Entscheidung an, dann kann es sehr gut sein, dass man sofort weiß, welche der verfügbaren Optionen die richtig ist.

Das ist hervorragend und man kann nur dazu gratulieren, dass die Entscheidung so leicht gefallen ist, sich zu entscheiden.

Wem Entscheidungen treffen immer so leicht fällt, kann hier dann auch gleich zu lesen aufhören. 🙃

Denn im Folgenden wird es darum gehen, was der neurobiologische Grund dafür ist, dass wir uns oft nicht entscheiden können.

Weder für das eine, noch gegen das andere (der Einfachheit halber bleibe ich in den folgenden Beispielen bei zwei Optionen, auch wenn es in der Realität auch oft viele Wege gibt, die darauf geprüft werden müssen, ob sie tatsächlich nach Rom führen werden).

Wenn die Entscheidungsfindung zur Qual wird

Es gibt also zwei Optionen, und diese wurden bereits ausgiebig gegeneinander abgewogen, alle Vor- und Nachteile in die Waagschale geworfen. Immer und immer wieder, und trotzdem ist nicht klar, welcher Weg es werden soll.

Vielleicht hast du irgendwann auch beschlossen, eine Pro-und-Kontra-Liste zu schreiben, damit alle entscheidenden Faktoren gesammelt werden, und dann ganz vernünftig bewerten können.

Fortgeschrittene führen sogar ein Punktesystem ein, mit Gewichtung.

Meistens geht ja dann am Papier  auch ein Gewinner hervor. Damit sollte es eigentlich ganz klar sein, welche Option die bessere ist.

A vor B oder B vor A.

Vernunft ist nicht alles

Hier ein Beispiel für eine kleine Entscheidungsproblematik: Nehmen wir an, du habst dir vorgenommen, täglich abends zur Zahnreinigung auch Zahnseide zu verwenden. Nach dem Abendprogramm ist es also soweit, und du gehst ins Badezimmer, um besagtes Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Hand aufs Herz – wer kennt die Qual, schon halb am einschlafen und eigentlich schon stolz darauf, dass man es überhaupt noch ins Bad geschafft, und die Zähne geputzt hat – und dann noch Zahnseide?

Aber warum ist es jeden Abend wieder so schwierig, sich für die Verwendung von Zahnseide (oder anderen Zahnzwischenraumdingen) zu entscheiden, wo die Vorteile doch so eindeutig überwiegen?

Die Vorteile von Zahnseide sind gesündere Zähne und Zahnfleisch, ein gutes Gefühl nach der Reinigung und dass die Zahnärztin zufrieden mit mir ist. Die Nachteile sind die 3 Minuten später ins Bett gehen und dass Zahnseide Geld kostet. Die Vorteile überwiegen also klar die Nachteile.

Mit dem Zahnseide-Beispiel habe ich ganz bewusst ein „kleines“ Beispiel gewählt, weil viele von uns genau diesen inneren Kampf von zwei Seiten in uns gut kennen. Aber die biologischen Grundlagen für die Entscheidungsfindung sind auch bei „großen“ Entscheidungen, beispielsweise Umzug, Partnerschaft, Beruf dieselben.

Unentschieden – was jetzt?

Im Blogartikel zum Nichtstun habe ich darüber geschrieben, wie sehr uns unser evolutionär sehr altes Stress-Reaktions-System auch heute noch beeinflusst, obwohl die wenigsten Menschen tagtäglich mit lebensgefährlichen Fressfeinden konfrontiert sind.

Unser Gehirn hat einen Job: Überleben sichern

Wie unser Gehirn Bewertungen und Entscheidungen trifft, basiert auf denselben Grundsätzen:

Unser Gehirn ist dafür da, unser Überleben zu sichern und uns von schädlichen, unangenehmen Situationen fern zu halten.

Das gilt nicht nur für unser hochentwickeltes Menschenhirn, sondern auch für viel simplere Organismen, die nur zwei Reaktionen auf einen Umweltreiz kennen: Mehr davon oder weniger davon.

Ist das Wasser zu warm, dann solange weg davon, bis es passt. Ist hingegen ein Reiz angenehm, dann verhält sich auch ein ganz simpler Organismus so, dass er mehr davon bekommt.  

Jetzt könnte man natürlich einwenden, dass Organismen wie zum Beispiel Seeanemonen ja so simpel sind, dass sie gar keine Pro-und-Kontra-Listen schreiben können. Also dass wir Menschen ja so viel weiter entwickelt sind, und daher für Entscheidungen viel mehr, komplexere Umstände berücksichtigen können, und dass unsere Entscheidungen daher nicht damit vergleichbar sind.

Denn wir können mit unseren Super-Hirnen ja ganz rational und vernünftig abwägen (unsere Super-Listen schreiben), und so die perfekte Entscheidung treffen!

Vernunft ist nur die halbe Wahrheit

Die schlechte Nachricht ist leider, dass der Verstand nur eines von zwei an der Entscheidungsfindung und Bewertung von Situationen beteiligten Systemen ist, die zum Einsatz kommen, wenn es darum geht, dass wir Entscheidungen treffen müssen. Denn wir haben gleichzeitig auch noch das oben beschriebene, evolutionär alte System, das unbewusste Erfahrungsgedächtnis.

Wir treffen Bewertungen und Entscheidungen mithilfe von zwei Systemen: System 1 ist unser Verstand, System 2 ist unser unbewusstes Erfahrungsgedächtnis. Gute Entscheidungen berücksichtigen das, was beide Systeme wollen.

Doppelt hält besser, oder?

Ja, es ist sicher kein Nachteil, wenn wir Entscheidungen sowohl vernünftig rational bewerten, als auch auf unseren Erfahrungsschatz, unser unbewusstes Erfahrungsgedächtnis zurückgreifen können.

Dass unsere Vorfahren permanent abgespeichert haben, ob etwas gut oder schlecht war, hat eben unser Überleben gesichert.

Es war eindeutig von Vorteil, dass unsere Vorfahren ein System hatten, dass ein „langes dünnes Ding, das am Boden ist“ ganz schnell als gefährlich erkennt – auch wenn sich ein später herausstellt, dass es ein harmloser Stock war.

Denn jenes System, das wir als Verstand bezeichnen, ist eindeutig das langsamere System, dass die Information „harmloser Stock“ oder „gefährliche Schlange“ erst dann liefert, wenn die Schlange schon zugebissen hat. Und mit „Hoppala, das war jetzt ein tödlicher Schlangenbiss, wären wir mal besser weggelaufen“ (oder was auch immer die Empfehlung bei Schlangenbegegnung ist) wäre uns nicht viel geholfen gewesen.

Nur diejenigen haben überlebt, die im Zweifel auf einen Stock wie auf eine Schlange reagiert haben.

Also kann man in einem Zwischenfazit festhalten, dass auch das altebewährte, schnelle System des unbewussten Erfahrungsgedächtnisses seine Daseinsberechtigung hat, weil es uns vor Gefahren zuverlässig schützt.  
12 november 2019

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