Embodiment – sind wir mehr als unser Gehirn?

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Anna Unger-Nübel

Fachlich geprüft von Juliane von Hagen (Psychotherapeutin)

Wenn du Science-Fiction Filme und Bücher magst, dann ist dir bestimmt schon einmal die Idee begegnet, dass das komplette Bewusstsein eines Menschen in seinem Gehirn gespeichert ist und auch ohne den Rest des Körpers bestehen kann. Ein Beispiel für eine solche Science-Fiction Idee ist die Serie „Upload”, in der das Bewusstsein des Protagonisten nach seinem Tod ganz einfach in eine virtuelle Welt hochgeladen wird und dort weiter existieren kann. Auch der Blockbuster „Transcendence” verfolgt diese Idee. Dahinter steckt der Gedanke, dass alles, was uns als Person ausmacht, in unserem Gehirn gespeichert ist. Wir sind also nicht mehr als unser Gehirn. Aber ist das wirklich so? Befürworter des Embodiment-Ansatzes würden auf diese Frage mit einem ganz klaren Nein antworten. Doch was genau steckt dahinter?

Inhalt:

  1. Das Gehirn wohnt im Körper: Embodiment einfach erklärt
  2. Embodiment-Beispiele
  3. Embodiment-Übung zum Ausprobieren
  4. Was bringt mir Embodiment im Alltag?
  5. Fazit – Wir sind mehr als unser Gehirn
Titelbild: Vater und Sohn nutzen Embodiment mit Siegerpose

Das Gehirn wohnt im Körper: Embodiment einfach erklärt

Der Embodiment (dt.: Verkörperung) Ansatz geht davon aus, dass unsere Wahrnehmung immer auch in einem Wechselspiel mit unserem Körper entsteht. Das klingt ganz logisch, wenn man sich überlegt, dass unsere Sinnesorgane als eine Art Antenne für unsere Umwelt funktionieren. Alles, was wir aus unserer Umwelt wahrnehmen, läuft zunächst über unsere Augen, Ohren, Nase, Mund und Haut. Erst nachdem unsere Sinnesorgane die Information aufgenommen und an das Gehirn weitergeleitet haben, setzt dieses sie zu einem vollständigen Bild zusammen. Ohne unseren Körper können wir unsere Umwelt also nicht wahrnehmen. 

Der Embodiment Ansatz geht jedoch noch einen Schritt weiter und beschreibt, wie sich körperliche Prozesse auf unsere Psyche im Allgemeinen auswirken können.

Diesem Ansatz zufolge können unsere körperliche Verfassung, Körperhaltung, Gestik und Mimik, unser Wohlbefinden und unsere Stimmung maßgeblich beeinflussen. Das kannst du einmal selbst ausprobieren, in dem du dich für einige Minuten ganz klein zusammen krümmst und anschließen für einige Minuten ganz groß machst und streckst. Kannst du mit der Veränderung deiner Körperhaltung eine Veränderung in deiner Stimmung wahrnehmen?

Die Beziehung ist wechselseitig

Doch die Verbindung zwischen Gehirn und Körper ist nicht einseitig. Auch unsere Psyche kann entscheidend Einfluss auf unseren Körper nehmen. Aus der psychotherapeutischen Arbeit mit von Depressionen betroffenen Menschen wissen wir zum Beispiel, dass sich die Körperhaltung bei einer akuten Depression verändern kann. Viele Betroffene von Depressionen zeigen eine gekrümmte, in sich zusammengefallene Körperhaltung. Oft wird die Körperhaltung in der klinischen Praxis daher als eines von vielen weiteren Symptome herangezogen, um die Verfassung einer Patientin oder eines Patienten zu beschreiben. 

Embodiment-Beispiele

Die Wechselwirkung zwischen Gehirn und Körper zeigt sich jedoch nicht nur in der psychotherapeutischen Arbeit. Du kannst sie auch ganz unmittelbar in deinem Alltag wahrnehmen und sogar zur Emotionsregulation nutzen. 

Lass den Kopf nicht hängen 

Wahrscheinlich hast du diesen Satz bereits das ein oder andere Mal gehört oder du hast ihn selbst genutzt, um jemanden zu trösten. Doch warum lassen wir den Kopf eigentlich hängen, wenn es uns nicht gut geht? Vielleicht hast du bei dir selbst schon einmal bemerkt, dass sich deine Körperhaltung verändert, wenn du traurig bist und  Hoffnungslosigkeit empfindest. Dabei musst du nicht unbedingt den Kopf hängen lassen, aber vielleicht kannst du eine insgesamt eingefallene Körperhaltung wahrnehmen, wie zum Beispiel hängende Schultern und einen gekrümmten Rücken. „Lass den Kopf nicht hängen” könnten wir also auch übersetzen in „Richte dich auf.”

Bitte lächeln

Wie bereits erwähnt, handelt es sich jedoch nicht um eine rein einseitige Beziehung. Genauso wie sich unsere Psyche auf unseren Körper auswirken kann, kann auch unser Körper Auswirkungen auf unsere Psyche haben. Das kannst du zum Beispiel beobachten, wenn du dich dazu zwingst, einige Minuten durchgehend zu lächeln. Und zwar unabhängig davon, wie du dich tatsächlich fühlst. Was dabei passiert? Dein Gehirn verbindet das Lächeln mit dem normalerweise begleitenden Gefühl von glücklich sein. Es schlussfolgert sozusagen: Minutenlanges Lächeln? Das muss Glücklichsein bedeuten! Das Resultat dieser Schlussfolgerung ist dann die Ausschüttung von Glückshormonen und das anschließende Gefühl von glücklich sein. 

Sport für die Seele

Wenn du gern sportlich aktiv bist, dann kennst du die Wechselwirkung von Körper und Psyche, also Embodiment, bestimmt aus deinem Training. Wie jede Sportlerin und jeder Sportler weiß, spielt die Motivation eine entscheidende Rolle für die körperliche Leistungsfähigkeit. Die Psyche wirkt sich also auf das aus, was wir körperlich leisten können. Andersherum fühlen wir uns nach dem Training oft energetischer und zufriedener als davor. Die Ausschüttung von Endorphinen während des Trainings führt dazu, dass wir gute Laune bekommen. Wir fühlen uns entspannter und sorgenfreier. In diesem Fall wirken sich körperliche Prozesse auf unsere Psyche aus. Sport lohnt sich also nicht nur für unsere körperliche sondern auch für unsere mentale Fitness!

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Embodiment-Übung zum Ausprobieren

Wie genau dein Körper und deine Psyche in deinem Alltag zusammenhängen und wie du diesen Zusammenhang positiv für dich nutzen kannst, zeigt dir die folgende Embodiment-Übung.

Übung

Lieber Körper, wie geht es mir heute?

Versuche, einmal einen Tag lang ganz bewusst auf die Signale deines Körpers zu achten. Mit welcher Körperhaltung beginnst du deinen Tag und wie verändert sich diese über den Lauf des Tages? 

Am besten nimmst du dir für diese Übung einen Notizblock oder die Notizfunktion auf deinem Handy zur Hilfe. Überlege dir am Abend zuvor, in welchen Situationen du die Signale deines Körpers achtsam wahrnehmen möchtest. Das kann zum Beispiel morgens beim Frühstück, während deiner Arbeit, zu Beginn deines Feierabends und abends beim Abendessen sein. Beantworte für jede dieser Situationen folgende Fragen: Wie hängt deine Körperhaltung mit deiner Stimmung zusammen? Kannst du deine Stimmung verändern, indem du deine Körperhaltung bewusst veränderst?

Beispielnotiz zum Frühstück: „Körper fühlt sich müde an, Körperhaltung ist schlaff, habe mich auf dem Tisch abstützen müssen, fühle mich energie- und lustlos, versuche mich aufrecht hinzusetzen und Körperspannung zu erhöhen, Stimmung verändert sich ein wenig, fühle mich etwas energetischer.”

Schaue dir die Ergebnisse deiner Selbstbeobachtung am Abend an und überlege, wie dir die Ergebnisse in deinem Alltag weiterhelfen können. Vielleicht nimmst du dir etwa vor, bewusst auf deine Körperspannung am Morgen zu achten, um dich energetischer und motivierter zu fühlen. 

Wichtig ist: Wenn gesteigerte Körperwahrnehmung (zum Beispiel die Wahrnehmung eines erhöhten Herzschlages bei sportlicher Betätigung oder Koffeinkonsum) bei dir in der Vergangenheit zu Gefühlen von Angst und Panik geführt haben, dann kann diese Übung schwierig für dich sein. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, die Übung abzukürzen. Beobachte hierfür am besten, wie sich dein Körper vor und nach einer Entspannungsübung anfühlt.

Was bringt mir Embodiment im Alltag?

Wie wir anhand der Beispiele gesehen haben, begegnet dir Embodiment ganz unmittelbar in deinem Alltag. Wenn du den Zusammenhang zwischen deinem Körper und deiner Psyche besser verstehst, kannst du ihn zu deinem Vorteil nutzen. Wenn du merkst, dass sich schlechte Laune anbahnt, kannst du dich zum Beispiel fragen, was du auf der körperlichen Ebene unternehmen kannst, damit es dir besser geht. Vielleicht hilft es dir in einem solchen Fall zum Beispiel sportlich aktiv zu sein. Oder du verwöhnst deine Sinne mit einem besonders leckeren Essen, um aus deinen negativen Gedanken ausbrechen und in die Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments zurückfinden zu können. 

Andersherum kannst du dich zum Beispiel nach einem wenig erfolgreichen Workout fragen, wie es mit deiner Motivation stand. Vielleicht kannst du dich beim nächsten Training besser mental vorbereiten und so deine körperliche Leistungsfähigkeit steigern. 

Fazit – Wir sind mehr als unser Gehirn

Dass unser Gehirn und unser Körper sich wechselseitig beeinflussen, können wir alltäglich feststellen. Unser Gehirn funktioniert nicht in einem luftleeren Raum, sondern immer nur eingebettet in unseren Körper. Damit haben wir die Chance, unsere Gedanken und Gefühle über unseren Körper zu beeinflussen und andersherum. Wir sind also mehr als unser Körper.

22 oktober 2019

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