Scham – ein hoch soziales Gefühl

6 Min. Lesezeit

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Anna Unger-Nübel

Fachlich geprüft von Sarah Boppert (Ärztin)

Wann hast du dich das letzte Mal geschämt? Und warum? Das letzte Mal, als ich mich geschämt habe, war, als ich aus Versehen das Geheimnis eines guten Freundes in seiner Anwesenheit ausgeplaudert habe. Mein Herz hat angefangen, schneller zu schlagen, mir ist ganz heiß geworden und ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht, als die Worte, die soeben aus meinem Mund gepurzelt sind, zurücknehmen zu können. Ganz schön unangenehm. Kennst du solche Situationen? In diesem Artikel gehe ich für dich der Frage nach, woher das Gefühl der Scham kommt und ob dieses unangenehme Gefühl vielleicht sogar einen Nutzen hat. Außerdem erfährst du, wie du deine Schamgefühle überwinden und zu mehr Selbstakzeptanz finden kannst.

Inhalt:

  1. In welchen Situationen empfinden wir Scham?
  2. Was passiert in unserem Körper, wenn wir uns schämen?
  3. „Ich schäme mich” – wie sich Scham überwinden lässt
  4. Sei geduldig mit dir
Titelbild: Person versteckt ihr Gesicht vor Scham hinter Hand

In welchen Situationen empfinden wir Scham?

Wann wir uns schämen, ist von Person zu Person unterschiedlich.

Allgemein kann man jedoch sagen, dass das Gefühl von Scham vor allem in Situationen auftritt, in denen wir gegen vermeintliche gesellschaftliche Regeln verstoßen haben oder die Grenzen einer anderen Person sowie von uns selbst überschritten haben.

Scham kann also dann auftreten, wenn wir den Eindruck haben, uns nicht richtig verhalten zu haben. 

Was wir als richtig und falsch ansehen, hängt dabei sehr von unserer eigenen Bewertung ab. So kann es sein, dass ich mich beispielsweise schäme, weil ich ein Geheimnis ausgeplaudert habe und das für einen schlimmen sozialen Fehltritt halte. Eine andere Person, die sich in einer solchen Situation befindet, denkt vielleicht: „Das kann schon mal passieren, ich habe es nicht böse gemeint und Menschen machen manchmal Fehler” – und wird sich wahrscheinlich nicht oder zumindest weniger schämen.

Wir können uns auch in Situationen schämen, in denen wir befürchten, dass andere unsere vermeintlichen Makel sehen. Zum Beispiel könnten wir denken, dass wir nicht genug lesen und schämen uns dann, wenn eine Freundin von einem bekannten Buch erzählt, von dem wir aber noch nie gehört haben. Oder wir mögen unseren Bauch nicht und schämen uns, wenn wir das Gefühl haben, jemand starrt genau dorthin. Auch hier können die Gründe für Scham von Person zu Person sehr unterschiedlich sein. 

Was passiert in unserem Körper, wenn wir uns schämen?

Wenn wir uns schämen, reagiert unser Körper mit der Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol und Adrenalin. Wir werden rot, uns wird warm, unser Herz fängt an, schneller zu schlagen, wir haben ein beklemmendes Gefühl in der Brust oder einen Knoten im Magen. Diese körperlichen Reaktionen setzen uns in Alarmbereitschaft und sollen uns dabei helfen, unseren Fehltritt wieder gut zu machen. Das kennst du vielleicht von anderen Gefühlen und Empfindungen wie innerer Wut oder Stress. Überlege mal, wann du das letzte Mal solche Reaktionen in deinem Körper gespürt hast. Hast du dich in dieser Situation geschämt, warst du wütend oder gestresst? 

Scham und Schuld – zwei hoch soziale Gefühle 

Scham und Schuld sind zwei Gefühle, die in engem Zusammenhang mit unseren Beziehungen zu anderen Menschen stehen. Sie helfen uns, unsere eigenen Grenzen und die Grenzen anderer zu wahren und begangene Fehler wieder gut zu machen. Damit sichern sie uns unseren Platz in der Gruppe. Wenn Scham- und Schuldgefühle jedoch zu stark oder zu häufig auftreten, kann das dazu führen, dass wir unseren eigenen Bedürfnissen nicht mehr nachgehen. Dann sind wir nur noch darauf bedacht, bloß keinen Fehler zu machen und wollen es allen recht machen

Innerer Kritiker und Scham

Schuld und Scham treten dann nicht nur auf, wenn wir tatsächliche Grenzen überschritten haben, sondern auch, wenn wir dem Perfektionsanspruch unseres inneren Kritikers oder unserer inneren Kritikerin nicht gerecht werden. Wir gehen dann härter mit uns selbst ins Gericht, als wir eigentlich müssten. Das kann dazu führen, dass unser Selbstwert leidet, denn wir sagen uns selbst Dinge wie: „Du machst nichts richtig” oder „Schon wieder hast du dich falsch verhalten.” Wenn unser Selbstwert sinkt, treten Gefühle wie Schuld und Scham wiederum häufiger auf. Dann befinden wir uns in einer Abwärtsspirale aus selbstabwertenden Gedanken und negativen Gefühlen und brauchen gegebenenfalls Hilfe von außen, um daraus auszubrechen.

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„Ich schäme mich” – wie sich Scham überwinden lässt

Schamgefühle sind fast immer unangenehm und so wirklich gern fühlen möchte man sie nicht. Auch wenn sie uns einen Hinweis darauf geben können, dass wir unsere eigenen oder die Grenzen einer anderen Person überschritten haben. Wenn du Schamgefühle loswerden möchtest, mache dir am besten folgende 3 Dinge immer wieder bewusst:

1Du darfst sein wie du bist

Starke Schamgefühle können ein Hinweis darauf sein, dass wir das Gefühl haben, uns nicht so zeigen zu dürfen, wie wir sind. Das wiederum bedeutet häufig, dass wir Schwierigkeiten damit haben, uns genau so anzunehmen, wie wir sind, mit allen Teilen unserer Persönlichkeit. 

Mache dir also bewusst, dass du genau so wie du bist, sein darfst – mit allen Eigenschaften, die du mitbringst. Das ist einfacher gesagt als verstanden.

Ein erster Schritt zu mehr Selbstakzeptanz könnte sein, dass du dir einmal überlegst, welche Teile deiner Persönlichkeit du nicht magst oder vielleicht sogar ablehnst. Sage dir ganz bewusst immer wieder, dass auch diese Teile von dir ihre Berechtigung haben. 

Natürlich solltest du dabei nicht jedem Impuls unbedacht nachgeben und weiterhin die Grenzen anderer Personen im Blick behalten. Es geht vielmehr darum, dass du dich nicht mehr einschränkst, als eigentlich nötig ist. So solltest du natürlich weiterhin niemandem absichtlich wehtun. Wenn du jedoch deine eigenen Grenzen mitteilst und sich dabei jemand verletzt fühlt (z. B.: Ich verbringe gern Zeit mit dir, aber heute brauche ich ein paar Stunden für mich ganz alleine), dann brauchst du dich hierfür nicht schämen und kannst dir sagen, dass auch deine Bedürfnisse wichtig sind.

2Es ist menschlich, Fehler zu machen

Fehler machen wir alle, auch wenn sie keiner gerne macht. Sich diese einfache Wahrheit bewusst zu machen, kann in Situationen, in denen wir unabsichtlich gegen gesellschaftliche Regeln verstoßen oder einen unserer vermeintlichen Fehler offenbaren, bereits dabei helfen, weniger Scham zu empfinden. Auch diese Wahrheit solltest du dir immer wieder aufs Neue sagen. Denn auch sie ist einfacher gesagt, als wirklich verstanden.

3Das meiste ist weniger schlimm, als es sich zunächst anfühlt

Wenn wir uns schämen, haben wir das Gefühl, etwas Schlimmes oder Peinliches gemacht oder gesagt zu haben. In dem Moment, in dem wir uns schämen, fühlt sich die auslösende Situation häufig ziemlich schrecklich an. Mache dir noch in dem Moment, in dem du dich schämst, bewusst, dass das Gefühl der Scham gerade dazu führt, dass du die Situation vielleicht etwas überbewertest. Ist es wirklich so schlimm, dass du den Namen der neuen Person in der Runde für einen Moment vergessen hast? Hast du die Präsentation auf der Arbeit wirklich so schlecht gehalten?

Denk immer daran: Gefühle können ein wertvoller Hinweis sein, aber oft lassen sie uns die Bedeutung einer Situation stärker bewerten, als sie eigentlich ist.

Sei geduldig mit dir

Starke negative Gefühle zu verändern oder sogar zu überwinden, kann einen langen Weg mit vielen Auf und Abs bedeuten. Häufig wollen wir, dass sich sofort etwas ändert. Das ist verständlich. Aber erinnere dich immer wieder, wie lang du diese Gefühle schon mit dir herumschleppst und gib dir genug Zeit, um neue Gedanken und Gefühle „einzuüben”. Alles Neue muss zuerst erkannt und dann eingeübt werden, und zwar immer und immer wieder. Ich wünsche dir viel Erfolg dabei! Du bekommst das hin!
14 März 2019

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